Börsen-Unwort 2001: „Gewinnwarnung“

    28.01.2002 – Zum ersten Mal haben die Düsseldorfer Börsenmakler einen Börsenbegriff zum Unwort des Jahres gewählt. Das einstimmige Votum fiel auf: Gewinnwarnung. Kein anderer Begriff wurde 2001 häufiger verwendet, kein anderer Begriff so falsch gewählt wie dieser. Aus dem amerikanischen „profit warning“ wortwörtlich ins Deutsche übersetzt, indiziert das Wort „Gewinnwarnung“ etwas anderes, als es tatsächlich bedeutet. Denn: Es wird nicht vor Gewinnen gewarnt, sondern vor zu hohen Gewinnerwartungen. Die Wahl zum Börsen-Unwort lag daher nahe: Nicht nur die deutsche Sprache wurde mit „Gewinnwarnung“ strapaziert – meist auch die Nerven der Börsianer und Anleger.

    Auch die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“, die alle Verfehlungen des öffentlichen Sprachgebrauchs seit Jahren sammelt und jährlich veröffentlicht, hat das Wort „Gewinnwarnung“ in der engeren Auswahl. Es wurde von allen eingereichten Vorschlägen am häufigsten genannt. Die Jury wird Ende des Monats ihr Urteil fällen. Der Düsseldorfer CNN-Korrespondent Daniel Thung hat seine Begründung für die Wahl zum „Börsen-Unwort“ bereits gefunden, die wir Ihnen beigefügt haben.

    GEWINNWARNUNG:

    Das Wort, das die Wirtschaftswelt erobert –

    oder einfach nur richtig viel Geld kosten kann

    von: Daniel Thung

    Kein Wort hat die Wirtschaftswelt im letzten Jahr so erschüttert wie das Wort „Gewinnwarnung“. Es verfolgte uns fast überall: im Fernsehen, in den Zeitungen, in der Öffentlichkeit… Nur nicht im Duden. Im Lexikon der deutschen Sprache ist dieses Wort nicht zu finden.

    Aber wir fanden es zuhauf bei börsennotierten Firmen sowohl am Neuen Markt als auch am Geregelten Markt. „Gewinnwarnung“ –  und noch mal  „Gewinnwarnung“! Und wenn es den Anlegern noch nicht reichte, musste man nur mal über den großen Teich schauen: Da gab es auch jede Menge „Gewinnwarnungen“.

    Aber haben wir denn auch verstanden, um was es da geht? Denn aufgepasst: „Gewinnwarnung“ ist nicht etwa die Warnung vor kommenden Gewinnen – das wäre ja zu schön. Im Gegenteil: diese Wortschöpfung ist eher das Waterloo vieler Aktionäre.

    Aber wie kann man dieses Wort richtig übersetzen? Starten wir einmal einen Versuch:

    Eine Gewinnwarnung ist, wenn ein Unternehmen deutlich niedrigere Gewinne als bisher erwartet veröffentlicht, oder deutlich höhere Verluste als ohnehin befürchtet bekanntgibt. Sollte eine dieser Kriterien zutreffen, dann ist dieses Unternehmen verpflichtet, eine „Gewinnwarnung“ zu veröffentlichen. Eine „Gewinnwarnung“ wird nach § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes in einer Pflichtmitteilung oder Ad hoc-Mitteilung bekanntgegeben. Eine Gewinnwarnung bedeutet somit nicht eine Warnung vor einem Gewinn, sondern vielmehr die Warnung vor einem niedrigeren Gewinn oder einem Verlust.

    Und was bedeutet das jetzt wirklich? Also starten wir den zweiten Versuch einer Erklärung:

    1.         Eine Gewinnwarnung kostet immer Geld! Und nichts und niemand ist vor ihr gefeit.

    2.         Eine Gewinnwarnung ist fast genauso schlimm, als wenn man jemand bei einem spannenden Fussballspiel stört … oder plötzlich unangemeldet die Schwiegereltern vor der Tür steht!

    3.         Einer Insolvenz gehen fast immer eine oder mehrere Gewinnwarnungen voraus.

    Das hat man also davon, wenn man leichtsinnig einen englischen Begriff wortwörtlich ins Deutsche übersetzen will. Sprachwissenschaftlich ist „Gewinnwarnung“, ähnlich wie „Stehende Ovationen“ schlichtweg falsch! Bei „profit warning“ warnen ja nicht die Profite, genauso wenig wie bei „Standing Ovations“ die Ovationen stehen – das Englische ist da wohl etwas feiner.

    Aber was tun? Lösungsansätze scheitern gerade an der deutschen Sprache. Vorschläge wie „Gewinnerwartungswarnung“ oder „Höhereverlustankündigung“ sind nicht sehr praktikabel und werden sich bestimmt nicht allgemein durchsetzen. Dieses Unvermögen kann wiederum aber nur eines bedeuten: Was die deutsche Sprache nicht kennt, gibt es auch nicht! Also weg mit „Gewinnwarnung“, und alle Probleme sind gelöst. Für die deutsche Sprache, für die Unternehmen, für die Börse, für den Anleger. Zumindest ist das der fromme Wunsch für 2002…