Die Zinsen sind zurück

Dr. Martin Moryson

Die Zinsen sind zurück – das sagt sich so einfach, aber die volle Bedeutung dieser Feststellung haben vielleicht immer noch nicht alle Anleger erfasst. Letztens habe ich das Wort „Bausparvertrag“ das erste Mal wieder gehört, eine verschwommene Erinnerung an meine Jugend, die zugegebenermaßen auch schon ein paar Jahre zurückliegt. Spätestens da wurde mir klar, dass sich etwas fundamental geändert hat. (Und keine Sorge: ich werde keine Bausparverträge empfehlen).

Im Juni sind in den USA erstmals seit vier Jahren die Preise gegenüber dem Vormonat gesunken. Auch in Europa ist die Inflation auf dem Rückzug. Wir erwarten aus verschiedenen Gründen – Deglobalisierung und Dekarbonisierung seien hier genannt – zwar nicht, dass die Inflationsrate wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau sinken wird, aber in der Nähe des Zwei-Prozent-Ziels sollte sie mittelfristig schon bleiben. Damit rücken Zinssenkungen immer mehr in den Fokus der Anleger: Die Europäische Zentralbank hat damit bereits begonnen, die US-Notenbank wird dieses Jahr noch folgen.

Für den Anleger sind dies gute Nachrichten. Warum? Auch wenn die Zentralbanken die Leitzinsen senken, werden die langfristigen Zinsen vermutlich kaum nachgeben – zu sehr sind die Leitzinssenkungen bereits eingepreist. Die niedrigere Inflation sorgt dann dafür, dass auch real, also nach Abzug der Inflation, etwas in der Tasche der Anleger hängenbleibt. In Deutschland liegen die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen bei rund zweieinhalb Prozent. Das ist zwar immer noch sehr nahe an der Inflationsrate. Geht man aber etwas ins Risiko, dann winken durchaus auskömmliche Renditen. So bieten US-amerikanische Staatsanleihen deutlich über vier Prozent Zinsen. Will man das Währungsrisiko meiden und nimmt dafür Kreditrisiko in Kauf, so kann man mit europäischen Unternehmensanleihen ähnlich hohe Renditen erzielen. Die sich langsam erholende Wirtschaft, die abebbenden Inflationsraten und der vergleichsweise geringe Verschuldungsgrad der Unternehmen lassen die eingegangenen Risiken überschaubar erscheinen. Gar kein schlechtes Umfeld für Investoren, die Angst haben, dass sich der KI-Boom in eine KI-Blase wandeln könnte, und die Diversifikationsmöglichkeiten suchen.

Newsletter vom 17. Juli 2024

Dr. Martin Moryson – Chefvolkswirt Europa
DWS

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